Aids-Aufklärung am Arbeitsplatz

Von Martina Schwikowski · · 2007/05

Viele einheimische und internationale Firmen in Südafrika gehen mit internen Kampagnen und medizinischer Betreuung in den Betriebskliniken gegen die Ausbreitung von HIV vor. Firmentheater, speziell ausgebildete BeraterInnen und Aktionswochen sollen das Gesundheitsbewusstsein der Angestellten stärken.

Johannesburg. Das Testergebnis war für Vusi Khumalo (Name geändert) ein Schock. „Eine böse Überraschung“, schüttelt der 50-jährige Südafrikaner den Kopf. Vor fünf Jahren hat er sich zu einem Aidstest durchgerungen. Schon einige Zeit zuvor fühlte er sich schwach, verlor an Gewicht und konnte kaum die wenigen Treppen zu seinem Büro in dem diamantenförmigen Wolkenkratzer in der Johannesburger Innenstadt hinaufsteigen – er wusste, dass etwas nicht stimmte. Die Test-Diagnose „HIV-positiv“ sei hart gewesen, sagt Khumalo. Zuhause, im Township Soweto, fürchtete er sich zunächst vor Stigma und Geschwätz. „Wenn jemand immer dünner wird, reden die Leute dort nur noch von Z3“, erklärt er und lacht. Die im Township-Jargon populäre Bezeichnung sei von dem minimalistisch-schlanken BMW-Modell geborgt worden. Aber am Arbeitsplatz fühlte er sich sicher, hat sogar seinen Vorgesetzten und MitarbeiterInnen von seinem Zustand erzählt und besonders in der Aidsklinik seiner Firma gute Unterstützung erhalten.
Vusi Khumalo arbeitet in der Verwaltung bei AngloGold Ashanti, dem weltweit zweitgrößten Goldproduzenten mit 21 Unternehmen in zehn Ländern auf vier Kontinenten. In Südafrika unterhält die Firma sieben Bergbauminen und drei Betriebe über Tag mit insgesamt 31.000 MitarbeiterInnen. Zu jeder Goldmine gehört auch eine Klinik. Dort erhalten Angestellte auf freiwilliger Basis Aidstests, Beratung und Aidsmedikamente. „Soziale Verantwortung“ steht für viele einheimische und internationale Firmen in Südafrika inzwischen im Zentrum ihrer Kampagnen gegen die Epidemie, denn geschätzte 15 Prozent der südafrikanischen Arbeitskräfte sind mit dem gefährlichen Virus infiziert; hinzu kommen täglich 1.700 neue Ansteckungen im Land. Die meisten der Betroffenen sind im produktivsten Alter zwischen 20 und 45 Jahren.

AngloGold begann mit seinen Aufklärungskampagnen bereits in den 1990er Jahren, als es in Südafrika noch keinen Zugang zu Aidsmedikamenten gab. Der Schwerpunkt lag schon damals auf freiwilligen, anonymen Tests nach dem Motto „Know Your Status“. Die Infektionsraten waren damals niedriger, was aber daran lag, dass sich weniger Leute testen ließen. „Die ersten Tests 2001 ergaben eine Rate von drei Prozent“, sagt James Steele, zuständiger Arzt in der Johannesburger Firmenklinik im Hauptsitz von AngloGold Ashanti. „Aber 2005 waren es 32 Prozent aller Arbeitnehmer, also etwa 10.000 Menschen, von denen wir wissen, dass sie das Virus tragen.“ In den betriebseigenen Kliniken sind es 4.600 ArbeitnehmerInnen, die dort als infiziert registriert sind. Davon nehmen 1.500 die Aidsmedikamente, die AngloGold privat einkauft und für Angestellte bereit hält. „Je mehr die Arbeitnehmer sehen, dass sie von den Tests und Behandlungen profitieren, desto weniger Stigma gibt es am Arbeitsplatz“, beschreibt Steele einen zunehmenden Trend in südafrikanischen Firmen.
HIV/Aids ist keinesfalls nur eine Krankheit der Armen, es betrifft Menschen aller Hautfarben, und in höheren Einkommensgruppen verzeichnen neueste Untersuchungen sogar steigende Infektionsraten. „Verhaltensänderung ist schwer zu messen“, gibt Steele zu. Aber indirekt könnten Schlüsse gezogen werden, wenn immer mehr Angestellte sich an Tests beteiligen, Kondomgebrauch steigt – die Boxen mit Kondomen auf den Toiletten und an anderen Stellen in der Firma leeren sich – und mehr Freiwillige bei Aufklärungskampagnen mitmachen. AngloGold Ashanti arbeitet, wie andere Firmen auch, mit freiwilligen „peer educators“, MitarbeiterInnen, die trainiert werden und in Workshops am Arbeitsplatz über Ansteckungsgefahren und insbesondere „safe sex“ aufklären, aber auch in die Gemeinden der Minenarbeiter und Angestellten hinausgehen.

„Wir denken uns einfache Geschichten zu HIV und Aids aus, die wir oft mit Bildtafeln in afrikanischen Sprachen vorstellen, um mit den Arbeitern beim Mittagessen ins Gespräch zu kommen“, sagt Cindy Hlongwane. Die junge Frau ist „peer educator“ (PE) bei der deutschen Firma Bosch und arbeitet eng mit ihrem Kollegen King Ledwaba zusammen. Sie haben 15 Minuten pro Woche pro Schicht, die von der Produktionszeit abgehen. Oft kommen KollegInnen auch nach der Arbeit oder während der „Kondom-Woche“, der „TB-Woche“ und anderen Aufklärungskampagnen mit Fragen zu ihnen. „PEs“ tragen an solchen Aktionstagen spezielle T-Shirts mit Anti-Aids-Slogans und sind dadurch präsent, Poster und Bilder zum Thema HIV/Aids hängen an den Wänden der Produktionshallen. Häufig werden über Aids auch indirekt Witze gerissen, wenn es wieder Zeit ist, Tabletten einzunehmen oder wenn besonders gesunde Mahlzeiten ausgepackt werden, meint Hlongwane.
Das Vertrauen für persönliche Gespräche ist in den vier Jahren Aidsberatung am Arbeitsplatz hergestellt worden. „Es war nicht einfach“, zieht Hlongwane Bilanz. Oft hatten die Betroffenen Sorge, von der Geschäftsführung entlassen zu werden, wenn sie HIV-positiv sind oder sich für das Thema zu offenkundig interessieren. Auch war es für sie als junge Frau schwierig, mit älteren Männern über Sex zu sprechen.
„Man muss schon die klare Absicht haben, etwas bewirken zu wollen“, sagt Hlongwane. Die Strategie lautet: Niemanden zum Zuhören oder Reden zu zwingen. „Wir müssen geduldig bleiben und gute Zuhörer sein, nicht in Mitleid ausbrechen oder schockieren, sondern ruhig und sachlich Informationen geben und ermutigen.“ Die firmeneigenen „AufklärerInnen“ werden regelmäßig auf Firmenkosten trainiert, um mit den Herausforderungen dieser speziellen Aufgabe umgehen zu können. Die meisten der 22 „peer educators“ hatten zuvor bereits freiwillig in ihren Gemeinden mit HIV/Aids-Aufklärung begonnen.
Die Motivation kam, als Todesraten und Erkrankungen bei Bosch zunahmen. Bosch hat knapp 1.000 Angestellte in Südafrika, und die Todesrate ist von jeweils fünf bis sechs in den Vorjahren auf durchschnittlich ein bis zwei Personen gesunken. Dreißig Prozent der MitarbeiterInnen haben sich offiziell testen lassen, davon sind 14,6 Prozent mit dem Virus angesteckt. Die „PEs“ bei Bosch haben sich – mit Unterstützung der Geschäftsführung – zum Ziel gesetzt, dass alle ArbeitnehmerInnen ihren HIV-Status kennen sollen.

Bei DaimlerChrysler in Südafrika profitieren, anders als bei Bosch, auch EhepartnerInnen und Familienangehörige von den Behandlungsprogrammen. Die Kosten für Aidsmedikamente werden aus der firmeneigenen Gesundheitsversicherung bezahlt, an die ArbeitnehmerInnen angeschlossen sind. Wenn der jeweils vom Ehepartner abhängige Partner oder Kinder ebenfalls Behandlung brauchen, wird für sie mitbezahlt. Und das schon seit 1996, als das Unternehmen in der ersten Phase begann, das HIV/Aids-Programm für die ArbeitnehmerInnen gemeinsam mit der deutschen GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) zu entwickeln. Informationen und Workshops, dann verstärkte Beratung, Behandlung und Vorbeugung zählen zu den Schwerpunkten des Programms. Zwei Studien in der Arbeitnehmerschaft mit Fragen zum Wissensstand über die Krankheit, zu Meinungen und sexuellem Verhalten wurden durchgeführt. Daran beteiligten sich 96 Prozent. Mehr als 4.500 Menschen arbeiten bei DaimlerChrysler, über 75 Prozent der Angestellten machten bei den freiwilligen Aidstest-Kampagnen mit. Die Todesrate von HIV-infizierten Firmenangestellten sank in den ersten drei Jahren des Programms um 56 Prozent.
Neben Kampagnen und Aufklärungswochen ist eine Methode der Kommunikation besonders beliebt: Firmentheater. Zur Einleitung der ersten Aufklärungskampagne hatte DaimlerChrysler 1996 zweimal ein halbstündiges Theaterstück in der Halle der Produktionsstätte in East London aufgeführt. Ein professionelles Team von SchauspielerInnen setzte vor den Angestellten genau das in Szene, was eigentlich nicht besprochen wird: Sex und Ansteckungsgefahren durch den HI-Virus. Mit theatralischen Ausdrucksmitteln wurden die ZuschauerInnen an ein Tabu-Thema herangeführt und einbezogen. Doch die Theateraufführungen hätten den normalen Produktionsablauf zu sehr unterbrochen, sagte Anneliese van der Laan, Mediensprecherin bei DaimlerChrysler. „Jetzt werden solche Stücke an Familientagen der Firma vor 15.000 Zuschauern aufgeführt.“ Direkt am Arbeitsplatz hat sich Daimler seit einem Jahr auf das Geschichtenerzählen anstelle des Theaterspielens verlegt. Der Aufwand ist geringer und die Kommunikationsmethode intimer. Fünf „peer educators“ in der Produktionsstätte in Pretoria und 20 in East London sind als GeschichtenerzählerInnen ausgebildet. „Die Arbeitnehmerschaft nimmt diese Angebote mit großem Interesse an“, berichtet van der Laan. Workshops über Gesundheit werden auch in den Regionen durchgeführt, in denen die Fabriken liegen, und seit Jahren gibt es Wellness-Angebote auf dem Firmengelände. Für seine erfolgreichen Aidsprogramme ist Daimler zweimal international ausgezeichnet worden. Natürlich profitiert auch die Firma, denn lange Abwesenheitszeiten, Training von neuen Kräften und hohe Todesraten wirken sich auch finanziell aus.

Vusi Khumalo kann wieder voll arbeiten. Er nimmt inzwischen Aids-Medikamente, die eine Vermehrung der HI-Viren verhindern sollen, und achtet mehr auf sich und seine Ernährung. „Ich habe von Psychologen in der Klinik viel Unterstützung erhalten und weiß, dass ich nicht morgen sterben muss“, erzählt er. Das hat ihn auch dazu bewogen, unter FreundInnen und in der Familie von seiner Krankheit zu sprechen. Seine Frau allerdings weigert sich aus Angst noch, einen Aidstest zu machen.

Martina Schwikwoski lebt als freie Journalistin in Johannesburg.

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